Eine spätsommerliche Hochdrucklage führt uns auf der Zielgeraden der großen Nordlandreise durch die Schären und Fjorde im Westen Norwegens. Auf unserem Weg von Trondheim in die Jugendstilstadt Alesund passieren wir das Seegebiet Hustadtvika. Sein Ruf eilt dem ca. 30 sm langen Küstenabschnitt voraus. Der Royal Cruising Club schreibt: "The area of the 13M NW-facing mainland past the meeting of Haroyfjord and Julsund is known as Hustadtvika and is considered one of the most dangerous stretches of coast in Norway."
Vor zwei Jahren wurden wir hier bei einer starken SW-Lage ordentlich durchgeschüttelt. Heute haben wir moderatere Bedingungen. Unter Spinnaker lassen wir unser ursprüngliches Etappenziel Kristiansund am späten Nachmittag an Backbord liegen und nutzen die Gunst der Stunde, das offene Seegebiet mit einer Fahrt in die Nacht zu queren. Wir entscheiden uns für die innere Route, die zwischen dem Festland und den vorgelagerten Inseln hindurch führt. Die unregelmäßige Unterwassertopografie führt in diesem Küstenabschnitt zu Grundseen, die sich an zahlreichen Untiefen brechen und in meterhohen Wasserfontänen entladen.
Auf sicheren Tangenten kreuzen wir vor dem Wind in einem Zickzackkurs um die Kardinaltonnen. Es ist volle Aufmerksamkeit gefragt um im gleißenden Abendlicht alle relevanten Seezeichen zu identifizieren. Wir erleichtern uns das Handling der 210 qm großen Spinnakers, indem wir zeitweise beide Spinnakerbäume stehen lassen. Spätestens nach der fünften Schifte ist die Crew ein eingespieltes Team: Bullenstander lösen - Hol dicht die Großschot - Bullenstander umschäkeln - Rund Achtern - Fier auf die Großschot - Bullenstander dicht... So geht es mindestens ein dutzend mal. Unter Constantins Anleitung rauschen wir mit bis zu 9 Knoten an den Untiefenfeldern vorbei in die Nacht. Währenddessen sehen wir am Horizont eine andere Segelyacht, die unter Motor und gerefftem Vorsegel die äußere Passage nimmt.
Mit erreichen der Untiefentonne West, deren 9 Blitze wir schon von weitem wahrnehmen, bergen wir den Spinnaker. Die Ansteuerung unseres Zielhafens steht dem Geschwindigkeitsrausch der vergangenen Stunden in nichts nach. Im weißen Sektor des Leuchtfeuers nähern wir uns der Küsteneinfahrt. Auf einem schmalen Grad zwischen tosenden Untiefen und Leuchtturm tauchen wir wieder in die geschützte Schärenlandschaft ein. Gegen 23 Uhr machen wir an der Gästebrücke des kleinen Hafens Bud fest. Beim Auslaufen am nächsten Morgen sind wir voller Respekt als wir die schmale Trassen sehen, die wir gestern zwischen Leuchtfeuer und überspülten Felsformationen genommen haben. Ein Hoch auf die exakte Betonnung der Norweger und die navigatorischen Fähigkeiten unseres Skippers!