Das sehr schwere Sturmtief über dem östlichen Nordatlantik intensiviert sich mit einem Kerndruck von 943 HPa und schickt ein Frontensystem in den Ärmelkanal. Die Isobaren an der deutschen Nordseeküste bleiben durch das kontinentale Hoch komprimiert und führen weiterhin zu Starkwind aus SW.
Theorie – Wetteranalyse & Revierkunde
Am Vormittag führen wir anhand der Seekarten und der Nautischen Literatur (Reeds Almanac 2020) die Analyse des Vortages sowie die Planung des heutigen Segeltages durch. Neben dem Verständnis des Seewetters ist hier vor allem das Erkennen der Gezeitenströme für eine verantwortungsbewusste Törnplanung notwendig. Die Strömungsbilder werden in Bezug der zu erwartenden Route und eigenen Geschwindigkeit gesetzt, um die Tide in der Praxis optimal zu nutzen.
Praxis – ablaufender Gezeitenstrom
Zur späten Mittagszeit legen wir von Wilhelmshaven ab. In Kalkulation wie lange wir bei Ebbstrom bis zur westlichen Passage der Wangerooger Plate brauchen, reicht uns die halbe ablaufende Gezeit. Wir segeln bei S-SW 4 zunächst im Schutze der Landabdeckung und haben in Erwartung zunehmenden Windes nichts an der Besegelung vom Vortag geändert. Als wir die Jademündung erreichen, nimmt der Wind auf S-SW 5 zu und wir luven auf Kurs NW an. Dabei passieren wir das Minsener Oog bei Niedrigwasser. Wir sind weiterhin noch im Einfluss der ablaufenden Gezeit, die dem Wind zwar nicht frontal, aber doch entgegensteht. Vor den Verhältnissen "Wind gegen Strom" wird in der einschlägigen Literatur (Nordseeführer DSV-Verlag) immer wieder gewarnt. So erleben wir auch hier sich aufbauende kurze steile Wellen, die das Schiff auf einen Fahrstuhlkurs schicken.
Praxis – auflaufender Gezeitenstrom
Wir umrunden die Wangerooger Plate und steuern nun mit auflaufendem Flutstrom bei auffrischendem Wind unter Genua IV und Trysegel in die Neue Weser. Während wir in die Dämmerung hinein segeln, halten wir uns südlich der grünen Lateraltonnen. Damit können größere Schiffe ungehindert das Fahrwasser nutzen. Beim südöstlichen Verlauf unseres Kurses, bergen wir bei rückdrehendem Wind das Trysegel und segeln somit ausschließlich unter Vorsegel. Das entlastet die Seemannschaft und führt zu mehr Konzentration bei der Navigation. Die Rudergänger leisten weiterhin sehr aufmerksame Steuerleistungen.
Praxis – nächtliche Ansteuerung
Der fahle Mond ist bei milden Temperaturen aufgegangen, am Horizont erscheinen die beleuchteten Containerterminals von Bremerhaven. Bis dahin ist es jedoch eine lange Strecke, die im Einfluss des Gezeitenstroms besonders aufmerksame Navigation und gewissenhaften Ausguck fordert. Dabei werden die Navigatoren durch präzise elektronische Instrumente von GPS über AIS bis hin zu Radar unterstützt. Im Cockpit besteht für die Crew der Anspruch die befeuerten Seezeichen und Richtfeuer korrekt zu erkennen, was in Anbetracht der industriellen Hintergrundbeleuchtung Aufmerksamkeit erfordert. Zudem müssen wir den Schiffsverkehr beachten, der über den UKW-Revierfunk auf der Weser mitgeteilt wird.
Praxis – sicher im Zielhafen
Als der Wind zu schralen beginnt, rollen wir das Vorsegel ein und befahren die restliche Strecke im engen Fahrwasser unter Motor – bis wir schließlich die Doppelschleuse vom Fischereihafen Geestemünde erreichen. Nach der Schleusung machen wir am Gästesteg des Weser Yacht Clubs fest – Distanz 56 sm. Nach dem Anleger gestaltet die Crew ein schmackhaftes Abendessen. Die Digistifs sind verbunden mit angeregten Diskussionen bis in den frühen Morgen...